Title: Like A Preacher Waving A Gun Around 
Source: Franz Dobler official site, by Franz Dobler. Transcription as previously published on Franz Dobler official site
DateLittle Amsterdam, Petaluma/ USA. Published October, 2004
Keywords: Real Gone


 

Like A Preacher Waving A Gun Around


Tom Waits und sein 20. Album 'Real Gone'

Noch nie vor einem organisierten Gespräch wurde ich das so oft gefragt. Und ständig verblüfften mich Leute mit dem Bekenntnis, Tom Waits sei einer ihrer Helden, eigentlich. Die meisten sagten sowas wie "eigentlich", weil sie dann hinzufügten, die letzten Alben nicht zu kennen. Ich habe alle Platten außer eine bis zur 85er "Rain Dogs", Kameraden vieler Nächte, in denen ich mir in einer Pose aus Einsamkeit, Alkohol und abgehangenem Rock´n´Roll gefiel. Nicht dass ich viel dazugelernt hätte, aber ich höre es seitdem selten. Was ich Neues mitbekam, überlagerte das Bisherige, und alles schien mir nur noch so Theatergeraune für die unglaublich echt phantasievolle Lichtregie von Robert Wilson.
Nein, ich war nicht aufgeregt.

Kurz vor der Landung in San Francisco stand plötzlich eine Frau neben mir und redete durch die Mitternacht; ich war seit 20 Stunden unterwegs und verstand nur noch, was meine Knochen meldeten. Der schwarze Junge neben mir spielte seit Atlanta mit seinem kleinen Computer; der bizarr strahlende Bildschirm in dieser zähen Dunkelheit. Seine Freundin hatte ihren Kopf auf seine Schulter gelegt. Er spielte sehr sanft mit dem Ding, um sie nicht zu stören. Manchmal flüsterten sie ein bisschen herum. "Ich werd´s schon herausfinden", sagte die Frau jetzt. Der Junge hatte sich vorgebeugt und seiner Freundin damit die Schulter weggenommen, um besser mit der Frau sprechen zu können. "Ich weiß nur, dass wir irgendwo in der Bay Area spielen, aber ich hab den Namen vergessen." Kein Problem, meinte sie, "und sorry, aber meine Tochter wäre sauer auf mich, sie ist ein echt großer Fan." Eine Serviette schob sich vor meine Augen, die Finger des Jungen griffen zu. "Aber klar", sagte er und klappte das Tablett raus als Unterlage. Er schrieb und zeichnete, und dann merkte ich, dass es ihr langsam peinlich wurde, weil es sich hinzog und sie im Gang stand und durch die zähe schläfrige Masse redete. Sie entschuldigte sich für die Störung, seine Freundin und so, aber es hätte ja keine andere Chance gegeben, an ein Autogramm zu kommen.

"Sorry for breaking your love", sagte sie.
"No problem, sweetheart", sagte der Junge.

Nach dem Handschlag mit Tom Waits übergab ich ihm zuerst das Präsent eines Freundes, eine schön gestaltete Abbildung eines Portrait-Gemäldes. Er schaute es kurz an und bedankte sich; den beigelegten Brief wollte er später lesen. Bekommt er viele Geschenke von Fans? "Solche Sachen nicht oft. Aber es gibt viele seltsame Anfragen, Typen, die wollen, dass ich bei der Hochzeit was singe und so Zeugs. Was soll das?" Er könnte dies singen von seinem neuen Album, am Ende der Feier, wenn der Morgen bald kommt und das Paar, eingelullt von der behäbig dahinstampfenden zart gesungenen Ballade, versunken müde eng tanzt und kein Wort versteht vom Verlieben, Verlieren, Verlassen, Verrecken: "And I want to know the same thing, everyone wants to know how´s it going to end."

So viele Tote, Böse, Gemordete und ramponierte Seelen hat er noch nie versammelt, und auch nicht so viel wüsten Krach; als wollte da jemand härter werden, durch eine Scheibe springen. Es gibt kein Klavier, keinen lässig klimpernden Chansonnier, nicht dieses exzentrisch-poetische, grummelnd rockende aber grundgute Waits-Gebastel-und-Geklingel mit Instrumenten aus der Stummfilmzeit, nicht die verspielt melancholische Athmosphäre zur schillernden Seifenblase, die der Clown hervorzaubert - die einzige Ausnahme auf "Real Gone" heißt eben "Circus", mit Geraune, Geklapper und Gestalten, denen im normalen Leben dann doch kein Theatergänger begegnen will. Kann es sein, dass der Künstler seine Fangemeinde - wer kommt mit, wer bleibt stehen? - provozieren wollte? "Nein, wie kommen Sie auf die Idee? Fangemeinde, ich denke nicht an sowas. Das wäre ja was Berechnendes, aber ich habe wie immer einfach das gemacht, wonach mir grade war."

Täuscht mich mein Eindruck, dass er unerwartet aggressiv und nicht nur mit der bekannt zerkratzten, sondern gehässiger, wütender Stimme und so düster wie nie davon erzählt, dass die Welt ein zunehmend übler Ort ist? Wo alles Gute nur wartet, aufgeschlitzt zu werden, wo die Vergangenheit als Unheil zurückschlägt, wo übliche Großstadt-Vergnügungen jederzeit kippende, kreischende Verzweiflung sind? "Ich bekomme eigentlich nichts anderes mit. Aber Sie meinen, dass ich zynisch geworden bin? Das nicht. Ich mache mich nicht darüber lustig."

Der Ort, wo die Musik herkommt, scheint keine dazu passenden Bilder zu haben, 80 Kilometer nördlich von San Francisco. Zwischen den Hügeln sieht man nur selten ein Haus. Von der Kleinstadt Petaluma aus wurde an vier Nachmittagen ein Journalist pro Stunde raus zu Waits´ Stammkneipe gefahren. Das Little Amsterdam, "Restaurant, Beer Wine Bar, Dutch Imports" am Highway 101 leidet nicht unter Verkehrslärm. 1976 lief Christo & Jeanne-Claudes berühmter fünf Meter hoher 'Running Fence' in Sichtweite vorbei. "Die hätten mich fast Pleite gemacht, weil es nach dem ersten Besucherchaos verboten war hier anzuhalten", erzählte der alte Holländer Evert Winkelman, bis heute Künstler und Werk bewundernd, "im Abendlicht war das ein unglaublicher Anblick, und es gab über ein Jahr 200 Arbeitsplätze." Neben dem Lokal steht ein Blockhaus, dahinter zwei Trailer. Könnte auch eine umjubelte Jim Jarmusch-Location sein! Und wir warteten auf Waits! Unter der (mitleidlos) brennenden Mittagssonne! Und ein White Trash-Paar stellte sich zu uns und wollte wissen, was hier los war mit den fremden Gesichtern. "Tom bringt ein neues Album raus und gibt paar Interviews", sagte der junge Mexikaner aus dem Trailer. Ja klar, logisch, der Tom machte eben mal wieder seinen Job. Aber wo wohnte er denn, ihr Tom? "Da hinten ´ne Viertelstunde, fast jeden Tag schaut er mal vorbei." Dann rollte der schwarze Chevrolet-Monsterjeep-Kombi auf den Schotterparkplatz.

Ich wollte wissen, was denn diese gefährlichen Typen in einigen der Songs, die Durchgedrehten, fiesen Aufreißer und Großstadthaie mit seinem eigenen Leben zu tun hätten? Waren es einfach so Stories, oder was irgendwann Erlebtes? "Sehen Sie, ich gehe gern ins Kino, und oft sage ich zu einem Freund, er soll mitkommen, aber er kommt nur mit, wenn es eine True Story ist, alles andere ist für ihn Filmquatsch, also sag ich zu ihm, komm mit in 'Independance Day', das ist eine echt wahre Geschichte! Also was spielt das für eine Rolle, da ist die Geschichte und du musst sehen, was du glaubst und damit anfängst. Und manche Sachen sind einfach Sprachspiele, Sounds".

Als wäre er begeistert, bei diesem Treffen endlich was Reelles zu tun zu haben, fing er an es vorzuführen, es ging bang-bang-bang, "there´s very little leeway, I seen a mattress on the freeway, the moon rises over Dog Street, Jefferson said every thing´s reet..." Auf einem 4-Spur nahm er die Basis auf im Badezimmer (nur James Bond könnte herausfinden, ob das stimmt), Stimme als Percussion, das Zischen von Geräten, Schlagzeugteile, Zeugs eben, schichtete Schicht auf Schicht, um dann irgendwann Marc Ribot, Larry Taylor oder Sohn Casey mit Instrumenten und Apparaten drüberschleudern zu lassen. Nur ein paar Balladen klingen nach einer Band, und der Noise-R´n´B alter Schule auch nicht nach einem elektronischen Heimwerker. So hat der bald 55-Jährige, dessen Schräger-Vogel-Image nur ewig leben wird, weil es den Magazinen und Fans so gut gefällt, sein 20., und viertes Album für Anti/Epitaph, aufgenommen. Es ist sein bestes.

Aus einem ähnlich Worte und Sounds aufreibenden Track hätte er auch den Refrain zitieren können, der wie eine Flagge über dem Album weht: "You know I feel like a preacher waving a gun around." Aber auf eine Frage zu diesem Priester - fühlt er sich von Gott beauftragt, das Böse von der Erde zu fegen? - oder ob er selbst sich so fühlte, kam, wie immer, nur "im Text ist alles gesagt". Das Gegenteil haben wir öfter: leicht verständliche, kleine Texte und große Kommentare dazu.

Sympathischer Mann, in seiner Sperrigkeit freundlich; nach 30 Jahren im Musikgeschäft etwas gelangweilt von der Situation, aber nicht herablassend oder unaufmerksam. War er am dritten Tag mit Journalisten genervt? "Nein, das nicht, aber manche haben ihre Fragen und haken sie ab und ich fühle mich ein bisschen wie im Gefängnis, und ich meine, Schreiben über Musik ist eben wie Tanzen über Architektur, aber das ist ja nicht mein Problem." Ich hatte den schlauen Satz lange nicht gehört. Er hatte ein dickes Notizbuch, ein paar CDs und das "Country"-Buch von Nick Tosches dabei, "stimmt, das ist großartig", und begeistert plauderte er dann über obskuren Countrykram - und seine Ballade "Dead and Lovely", vom immer aktuellen "middle class girl", das an einen Mann mit "bullett proof smile" gerät, der sie sich hält "wie Juwelen an der Hand", ist direkt mit den alten Mördergesängen eines Dock Boggs verbunden, genauso unheimlich beiläufig und ohne Verzierung gespielt und so trostlos.

Nachts in den Straßen von San Francisco im afroamerikanischen Viertel Tenderloin ging eine junge Frau vor mir auf die Knie. Ich hatte ihr nur einen Vierteldollar gegeben, hatte kurz vor dem Abflug nichts mehr, und sie sagte "bitte" und kniete sich hin und streckte mir die gefalteten Hände entgegen, und ich kniete ebenfalls nieder und sagte "tun Sie das nicht, bitte nicht, ich ertrag das nicht." Und dann stand sie endlich auf und wünschte mir eine gute Nacht.

Es gibt Peitschenhiebe zu hören und die herrischen Fragen eines Herrn und die knappen Antworten eines Sklaven. Es gibt keinen Schlussstrich unter eine Vergangenheit, und wenn sie in einem Betrunkenen wiederkehrt, der unaufhaltsam wie ein "drunken train" loszieht, um seine brennende Seele mit Blut zu löschen von dem, der nicht auf die mahnende Stimme hört "don´t go into that barn", denn in der Scheune wird die Rache über dich kommen... Politische Vergangenheit: auch gespiegelt in Gesängen, die vor 100 Jahren aufgenommen wurden, auf einem Feld, wo die Peitsche den Rhythmus nicht vorgab, sondern ihn zerstörte; auch gespiegelt im geistesabwesenden leisen Geheul zu den Erinnerungen an eine Liebe, die dich so heimsucht wie der Tritt des Herrn und sei´s nur weil ein Betrunkener einen Namen ausspuckt.

"Metropolitan Funkblues" oder "Cubist Funk" nennt er selbst seinen renovierten und auffrisierten Sound. Das ist passend, und das rhythmische Getümmel, hämmernd und diffus zugleich, ließ mich an R.L.Burnside denken. Kennt er den? "Ja, sicher. Aber hey, Sie sagen schon zum zweiten Mal, dass sich irgendwas wie dies oder das anhört, hören Sie, es ist so, tausend Arten von Musik fliegen hier durch die Luft, was von früher, von heute und sonstwas, und du machst was und greifst dir da was und hier, und man kann nicht sagen, diese Art gehört dem, so entsteht Musik, du baust es dann zusammen."

Eine Stunde später, wie´s der Architekt eben so will, stellte ihm der englische Journalist Richard Grant (der mit 'Ghost Riders' übrigens ein großartiges Buch über amerikanische Nomaden geschrieben hat, erschienen bei Edition Tiamat) ebenfalls die Burnside-Frage; "die kam irgendwie nicht gut an", meinte Grant. Dabei hatte keiner von uns damit etwas behaupten wollen; schließlich hat Waits diese Art Free Style Rhythm&Blues schon früher gespielt, wenn auch nie so überwältigend ein Album prägend. An einem anderen Punkt landeten wir ebenfalls beide. Waits und Kathleen Brennan, seine die Öffentlichkeit meidende und insofern von ihm beschützte Frau und Co-Autorin, verwenden auffallend viele Bilder, die wir aus der Bibel kennen oder religiös verstehen (müssen oder können). Ist er, wie auch immer, gläubig? Zu mir sagte er: "Nein, in keinster Weise". Und Grant erklärte er dann ausführlich seinen Glauben an die Wiedergeburt. "Er ist eben ein Spieler und Geschichtenerzähler", resümierte der Reporter, der seit über zehn Jahren durch die Staaten zieht, "und wir haben eine Stunde gehabt und eigentlich keine Ahnung". Wir lachten und fanden das nicht schlecht.

Das Album, das so jenseits ist von Pop-Amüsement, so aufgekratzt, einsam, keinen Konsens suchend, morbid und damit jenseits von etwas Staatstragendem, enthält auch noch das traurigste Klagelied eines Soldaten. Ein Brief nach Hause von einem armen Schwein, das einfach nur wieder heim will, weg von der Front, keines der großen Ziele akzeptierend, "I´m tired of taking orders", er hat einfach nur Angst und will zurück zum banalen Scheiß seines eigenen Lebens. Man muss diesen klassischen Song ohne Ort- und Zeitangaben aktuell interpretieren, was also ist Waits´ Meinung zum US-Irak-Krieg? "Sie ist irrelevant." Pause. "Also wenn Sie´s genau wissen wollen, unser Land wird von einem Wahnsinnigen regiert, einem Dummkopf, dem Schattenführer eines Schattenkabinetts. Ich bin kein Verschwörungstheoretiker, aber die sind im Schatten von mächtigen Wirtschaftsverbänden, CIA usw., aber wer weiß das schon so genau, und wir wurden belogen, was diesen Krieg betrifft. Alle Medien sind in Händen von Leuten, die ein Interesse daran haben, uns nur begrenzt Informationen zu liefern. Diese Nation war noch nie so gespalten, ich hoffe der Irre wird abgewählt. Schwer zu sagen, Californien ist liberal, untypisch, im Süden und im Mittleren Westen sieht´s anders aus. Aber ich mache keine Propaganda-Songs, es ist nur meine Sicht. Ich glaube, dass sich all diese Soldaten immer gleich beschissen fühlen."

Das Geheul des Soldaten scheint gekettet an einen tonnenschwer anmutenden Song über Schuld und Sühne. "Sins Of My Father" scheint so lang wie ein Rosenkranz-Beten, Heimkehr und Abrechnung, "night is falling like a bloody axe, lies and rumors and the wind at my back". Ein hoffnungsloses Peckinpah-Epos, über zehn Minuten dahinklappernd wie ein Fuhrwerk, auf dem ein Toter sitzt. Im Pfandhaus will er Sachen einlösen und dann die Sünden von Vater, Mutter, Bruder zum Weiher hinunter tragen, "I´m gonna wash them, ´till the water runs clear." Können wir die Sünden anderer auf uns nehmen, oder ist das nur ein Psychopath mehr? "Nun, ich bin nicht gläubig, aber das muss jeder für sich selbst entscheiden. Ich, ob ich Dinge begangen habe, die auf meine Kinder übergehen könnten, oder ob ich von meinem Vater etwas tragen muss, und Sie für sich ebenso. Das muss jeder mit sich selbst ausmachen." Schon wieder nur eine Geschichte. Schlimm genug, dass sie mir was sagt.

Er hatte mal einen Verfolger. "Ein junger Kerl aus Ohio, ich habe versucht mit ihm zu reden, ging aber nicht, keine Ahnung, was der wollte. Ich hab seine Mutter angerufen, dass man sich um ihn kümmern muss, aber es passierte nichts. Schließlich hab ich die Cops benachrichtigt." War das in der Stadt?
" Nein, hier.

Notes:

N/A