Title: Ich Bin Ein R�tsel
Source: Der Spiegel magazine. Issue 17/2002 (Germany), by Marco Evers. Transcription as published on http://www.spiegel.de/ (� DER SPIEGEL 17/2002).
Date: Flamingo Resort Hotel & Conference Center 2777 Fourth Street, Santa Rosa, CA. February/ March. Published: April 11, 2002
Keywords: Alice, Blood Money, Robert Wilson, Public image, Drinking, voice, fatherhood

Magazine front cover: Der Spiegel magazine. Issue 17/2002 (Germany). Published: April 11, 2002


 

Ich Bin Ein R�Tsel

 

SPIEGEL: Mr. Waits, Sie bringen nun gleich zwei Alben auf einen Schlag heraus - "Alice" und "Blood Money". Ist das nicht gegen alle �konomische Vernunft?

Waits: Wieso? Das eine ist Huhn, das andere Fisch. Beide sind jetzt fertig, und bei beiden ist es wie in der K�che: Was gar ist, muss raus aus dem Ofen.

SPIEGEL: "Alice" d�rfte schon ziemlich weich gekocht sein. Das Album geht auf das gleichnamige Musical zur�ck, das Sie vor zehn Jahren mit dem Regisseur Robert Wilson im Hamburger Thalia Theater uraufgef�hrt haben.

Waits: Die Songs stammen aus jenen Tagen, aber ich war nie im Studio mit ihnen. Meine Frau hat mich immer bedr�ngt, "Alice" aufzunehmen, und irgendwann habe ich nachgegeben. Es war ein wenig so, wie wenn man eine alte Kiste mit abgelegten Kleidern aufmacht, von der man nicht wusste, dass sie noch existiert. So h�ren sie sich auch an: wie ausgegraben.

SPIEGEL: Sie gelten als Perfektionist. Was passiert, wenn Sie sich wie jetzt im Studio �ber altes Material hermachen?

Waits: Songs ver�ndern sich dauernd. Manche Songs m�chten nicht aufgenommen werden, manche sind wirklich gemein. Das merkt man aber erst, wenn man dabei ist, sie im Studio einzufangen. An manche muss man sich anschleichen wie an einen Vogel. Manche Songs bringt man um w�hrend der Aufnahme, und was man dann h�rt, ist eine Leiche. Man muss einfach sehr vorsichtig sein.

SPIEGEL: "Alice" war damals bereits Ihre zweite Produktion in Hamburg. Gef�llt Ihnen die Stadt so gut?

Waits: Regen. Kirchenglocken. Tauben. Alte H�user. Z�ge. Ich bin nach Hamburg gekommen wegen Wilson. Mit ihm w�re ich auch nach Rum�nien oder Korea gegangen.

SPIEGEL: Auch "Blood Money" basiert auf einer Produktion mit Wilson, der Musical-Version von Georg B�chners "Woyzeck", die vor anderthalb Jahren in Kopenhagen herauskam. Beide Alben sind fast durchweg akustisch instrumentiert und erinnern an die Theatermusik von Kurt Weill ...

Waits: Als ich diesen Vergleich das erste Mal h�rte, habe ich Weills Musik gar nicht gekannt. Aber ich habe sie angeh�rt, um herauszufinden, was die Leute meinen. Was ich an ihm mag, ist dieses: Er nimmt eine sch�ne Melodie und erz�hlt dir furchtbare Dinge. Ich hoffe, dass mir das auch gelingt.

SPIEGEL: An D�sternis herrscht in Ihren Songtexten sicher kein Mangel. Woher kommt diese dunkle Phantasie?

Waits: Wissen Sie: Ich bin ein R�tsel. Ich verstehe selbst nicht, was manche Songs bedeuten. Das ist der Trick beim Songschreiben: Du musst etwas in den Song einbauen, was dich auch selber sp�ter noch �berrascht. Wenn es zu einfach ist, dann langweile ich mich damit. Es ist dasselbe wie mit Leuten.

SPIEGEL: St�rt es Sie, dass Sie bis heute das Image des melancholischen Trinkers haben?

Waits: Viele Leute glauben, ich schlafe auf dem Billardtisch, stehe um drei Uhr mittags auf, sch�tte Whiskey in meine Cornflakes, habe keine Z�hne im Mund und immer Laub im Haar. Was soll ich dazu sagen? Das ist eine Geschichte und nicht mehr. Es verletzt mich nicht.

SPIEGEL: Sie haben dieses Image ja auch selbst kreiert.

Waits: Man braucht schlie�lich eins. Fast alle Images sind erfunden und kultiviert, und das meiste dabei ist hei�e Luft. Diese Zerrspiegel und Kartenspielertricks sind reine Ablenkungsman�ver. Ich nehme das nicht so wichtig. Ich bin kein Kinostar, der sein neues Gebiss und sein neues Gesicht alle drei Wochen auf den Titelbildern herumzeigt. Ich mache Musik und arbeite nicht dauernd an meinem Image.

SPIEGEL: Und wie viel an Ihrem Image ist nun echt?

Waits: Was wei� ich? Ich habe jedenfalls seit neun Jahren keinen Drink anger�hrt.

SPIEGEL: War es schwer aufzuh�ren?

Waits: Das war ein Klacks. Zu trinken war viel schwerer.

SPIEGEL: Damals sangen Sie "I don't have a drinking problem, except when I can't get a drink".

Waits: Ach, das habe ich irgendwo auf dem Klo gelesen.

SPIEGEL: Wie ist es mit Zigaretten?

Waits: Auch da kommen Sie viel zu sp�t: Ich rauche schon eine Ewigkeit nicht mehr.

SPIEGEL: Tut es weh, so zu singen wie Sie?

Waits: Nein.

SPIEGEL: Woher hat Ihre Stimme diesen kratzigen, rauen Klang?

Waits: Ich habe in die Kissen geschrien. Im Ernst: Deine Stimme ist deine Stimme. Ab 40 hast du das Gesicht, das du verdienst, und die Stimme, die du verdienst.

SPIEGEL: Sie schreiben seit einiger Zeit fast alle Songs zusammen mit Kathleen Brennan, die seit �ber 20 Jahren Ihre Ehefrau ist. Wie funktioniert das?

Waits: So, wie man alles miteinander teilt: Einer macht den Abwasch, der andere trocknet ab. Ich kratze ihren R�cken, sie meinen. Wir sind wie zwei Messer, die sich gegenseitig wetzen. Viele Leute sagen: Du bist verr�ckt. Ihr lebt zusammen, ihr liebt euch, ihr habt drei Kinder, und dann arbeitet ihr auch noch zusammen. Aber f�r mich ist das ganz nat�rlich. Kathleen hat gro�artige Ideen, und ich vertraue ihr grenzenlos. Sie ist eine phantastische Songschreiberin.

SPIEGEL: Ist es nicht ein Widerspruch, dass Sie in einem Familienidyll auf dem Land leben und trotzdem Songs �ber unerf�llte Liebe, Sehnsucht und Verzweiflung schreiben?

Waits: Ich finde das nicht seltsamer, als wenn jemand in der Stadt lebt und Country-Songs singt. Wenn man Musik macht, ist die innere Landschaft mindestens so wichtig wie die �u�ere.

SPIEGEL: Zwei Ihrer Kinder sind Teenager. M�gen sie die Musik ihres Vaters?

Waits: Meine Musik ist nicht ihre. Das darf auch nicht anders sein. Wenn meine Kinder dauernd meine Musik h�ren w�rden, w�rde ich sofort den Psychiater rufen. F�r Teenager ist Musik �hnlich wichtig wie Kleidung, und ich bin f�r sie eher so was wie ein Rollkragenpulli.

SPIEGEL: M�gen Sie die Musik Ihrer Kinder?

Waits: Ich finde sie okay. Ich mag HipHop, Rap - alles, was mit Worten zu tun hat. Ich liebe Worte.

SPIEGEL: H�ren wenigstens Sie sich manchmal Ihre alten Songs an?

Waits: Nein. Es ist dasselbe, wie wenn man sich alte Fotos von sich anschaut. M�gen Sie das? Man erschrickt: Hey, meine Ohren waren ja viel gr��er, als ich je gedacht h�tte.

SPIEGEL: Ihre Fans lieben Sie gerade f�r die sanften, br�chigen Balladen, von denen auch Ihre neuen Alben bei aller Wildheit und D�sternis ein paar pr�sentieren. F�llt es Ihnen schwer, zwischen Liebes- und Schreckensliedern zu wechseln?

Waits: �berhaupt nicht. Mein Gehirn funktioniert einfach so. Ich habe immer schon das Erhabene neben das Irrsinnige gesetzt. Das ist Teil meiner Grundst�rung - mal bin ich zynisch, mal klinisch.

INTERVIEW: MARCO EVERS

Notes:

(1) Ich Bin Ein R�tsel: Translates as "I am an enigma"