Title: F�ttere Die H�hner Gut!
Source: transcription as published on S�ddeutsche Zeitung site at: http://www.sueddeutsche.de. By Franz Dobler. �Sueddeutsche.de GmbH/S�ddeutsche Zeitung GmbH
DateLittle Amsterdam restaurant, Petaluma CA. July/ August. Published: September, 2004
Keywords: Real Gone

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Source: S�ddeutsche Zeitung site "F�ttere die H�hner gut!". September, 2004. Also printed in Houston Chronicle: October 4, 2004 "Tom Waits visits the California Senate in 2002 for a hearing on record label accounting practices, in Los Angeles." Date: September 24, 2002. Credits: Photo credit AP (Associated Press)


 

F�Ttere Die H�Hner Gut!

Ihm haftet ein unverw�stliches Image an und er ist kein Freund von Interviews: Ein Treffen mit der Kunstfigur, irgendwo in Kalifornien.

Von Franz Dobler

Treffpunkt Petaluma, eine Autostunde n�rdlich von San Francisco. Von dort wurde man zum 20 Kilometer entfernten Sprechpunkt gebracht. Am Highway 101, nicht weit vom See, an dem Alfred Hitchcock mit seinen M�rderv�geln drehte, steht das Little Amsterdam: "Restaurant, Beer Wine Bar, Dutch Imports". Nichts als gr�ne H�gel ringsum, neben dem etwas ramponierten, langen, niedrigen Bau ein Blockhaus, zwei Trailer, Autowracks, ein Gastank, die Flagge.

Zw�lf Uhr mittags, Sonne, auf dem Highway nichts los, zwei Autos auf dem Schotterparkplatz. Jetzt m�sste es herbeischlendern, das laszive Girl, und sagen: "Echt schei�gottverlassen hier."

Wenigstens kommt ein echtes White-Trash-Paar und will wissen, warum hier seit Tagen fremde Gesichter auftauchen. "Interviews", sagt der junge Mexikaner, "Tom hat ein neues Album". Okay, sie wissen Bescheid, ist ja die Stammkneipe von ihrem Tom, der irgendwo "da hinten, Viertelstunde" wohnt. Dann kommt der schwarze Chevrolet-Jeep, gro� genug, um zehn tote Gangster zu transportieren, und wir gehen in die dunkle Kneipe, die der alte Wirt mit mexikanischen Sachen voll gestopft hat.

Ist das hier eigentlich eine Inszenierung, f�hrt hier die Plattenfirma Anti-/Epitaph eine Show auf f�r ihren K�nstler Tom Waits? Sein Image ist so unverw�stlich, dass man nach solchen Zeichen sucht. Wo sonst sollte man ihn denn treffen, wenn nicht in so einem Little Amsterdam, den nuschelnden Melancholiker, Glas Rotwein, Zigarette, ein Finger am Klavier, Freund schr�ger V�gel, kein Freund von Interviews. Dieses Bild wie Beton seit 30 Jahren.

Dass der K�nstler als Musiker, Erz�hler, Schauspieler mit einer Kunstfigur namens "Tom Waits" arbeitet, dringt kaum durch. St�rt ihn dieses Image, versucht er das zu �ndern? "Aber nein", sagt Waits, "wie sollte das gehen? Da drau�en ist ein H�hnerhaufen, die H�hner picken herum, dann finden sie was und kreischen, so ist das eben, wen interessiert das schon." Waits ist bekannt daf�r, dem einen Journalisten dies, dem n�chsten das zu erz�hlen: F�ttere die H�hner gut, dann picken sie nicht in deinem Privatm�ll herum.

Weit weg von seiner Kunstfigur

Wenn er dann vor einem sitzt, wird klar, dass man doch in keine Inszenierung geraten ist. Weil er so weit weg ist von seiner Kunstfigur. Er ist freundlich, munter, h�rt aufmerksam zu, ohne so zu tun, als w�re ein Interview eine gro�e Sache; keine Spur von jener gelangweilten Arroganz, die man erwartet hat. Er ist 54, klein, drahtig, sieht gut aus. Raucht nicht! Tr�gt keinen zerknitterten Anzug! Sondern eine dunkle Stoffhose, ein olivgr�nes Hemd und in der Hand ein dickes Notizbuch. Es scheint nicht zu passen, dass dieser Mann ein derart morbides, d�steres, w�tendes Album aufgenommen hat. "Real Gone" ist sein zwanzigstes (sein viertes f�r Anti-/Epitaph) und erscheint Anfang Oktober. All das, weswegen seine Musik seit Jahren eher uninteressant ist, hat er darauf �berraschend weggelassen: Das klimpernde Chanson-Klavier, dieses Theater-Atmosph�re-Getue, das exzentrische Klangbasteln mit besonderen Instrumenten.

Priester mit Knarre Pl�tzlich kommt von ihm mehr w�ster, guter, h�mmernder Krach als je zuvor. Die Basis hat er selbst aufgenommen, im Badezimmer (das glauben wir gern), Schicht auf Schicht, Stimme als Percussion, Ger�usche, die nicht genau zu benennen sind, und dann warfen Marc Ribot, Larry Taylor, sein Sohn Casey und andere ihre Instrumente dar�ber, um noch mehr rhythmische Schichten zu schaffen. Wollte er seine Fangemeinde mal provozieren? "Ich denke nie an sowas wie Fans, ich bin nicht berechnend, ich habe wie immer einfach das gemacht, wonach mir gerade war."

Dieser "Cubist Funk", wie er es passend nennt, ist Gro�stadtmusik. Als w�rde man die Sounds, die aus den offenen T�ren der Bars und Clubs kommen, verschmelzen. Aber in den Texten ist der Am�sierwahn immer nah an hysterischer Verzweiflung: Das hungrige Middleclass-Girl wird vom Metropolen-Abenteurer ausgel�scht werden; alles Sch�ne wird h�sslich werden und alles Gute aufgeschlitzt. Andere Botschaften h�rt man nicht von Waits und Ehefrau/Co-Texterin Kathleen Brennan.

"Ich bekomme auch nichts anderes mit. Aber Sie meinen, dass ich zynisch geworden bin? Das nicht. Ich mache mich nicht dar�ber lustig." Aber vielleicht die Co-Autorin? Wir wissen es nicht, sie will keine �ffentlichkeit, solche Jobs erledigt der Mann. Wie arbeiten sie zusammen? "Mal so, mal so. Ich schreibe was, sie macht weiter. Oder umgekehrt." Gibt's auch Differenzen? "Klar. Kann sein, dass sie sagt: Das ist alter Waits-Kram, das will ich nicht. Dann sage ich vielleicht: Gef�llt mir aber!"

Er macht mit den H�nden nach, wie man ein Messer am Wetzstein schleift und dazu (so hat er also aufgenommen) ein fies zischendes, schmatzendes Schleifger�usch. "So l�uft das bei uns, wie's eben so l�uft." Welche �berraschung. Mehr Privates gibt's nicht f�r den H�hnerhaufen. Wie er auch bei Fragen zum Text nicht redselig wird. Diese Rachegestalt, die sich in einem Song f�hlt "like a preacher waving a gun around", was auch die Summe des ganzen Albums sein k�nnte, warum f�hlt der sich so, und f�hlt sich Waits so? "Der Text sagt doch alles, und ob er was Wahres erz�hlt, muss jeder selbst entscheiden." Diese Sperrigkeit ist sympathisch. Lange, oft schwierige Texte und keine Kommentare dazu. Umgekehrt ist es normal.

Tumult-Blues-Teile gegen Balladen

Gegen seine Tumult-Blues-Teile hat er einige Balladen gewuchtet. Sie wirken tonnenschwer, sie sind unverziert, nackt, roh, so einfach gespielt, als sollten sie die letzten Reste einer Shake-Your-Body-Stimmung zerst�ren (und man muss betonen: kein Klavier). Ein traurigeres, dabei f�r jeden verst�ndlicheres und allgemein g�ltigeres Soldatenlied als "Day After Tomorrow" kann's nicht geben, und es verbindet sich mit einem zehn Minuten langen Epos �ber Schuld und S�hne, ein Monument, in das die Frage gemei�elt ist, ob man f�r die S�nden von Vater, Mutter, Bruder und f�r die eigenen b��en kann (oder ob es ein Trost w�re, das tun zu k�nnen).

"Ich singe keine Propaganda-Songs", sagt Waits. Und ist sich bewusst, dass diese klassischen, hoffnungslosen Geschichten aus den Grabkammern der Seele aktuell gesehen werden m�ssen. Seine Hasstirade gegen George Bush ist dann sehr lange. Und wenn Waits in dem Fall eines seiner ber�hmten Versteckspiele vorgef�hrt hat, dann soll ihn der Teufel holen.

Am Abend hat auch der englische Reporter Richard Grant seine Stunde Waits gehabt, und wir bemerken, dass wir auf einige �hnliche Fragen verschiedene Antworten bekamen. Kein Wunder, dass wir bei derart vielen biblischen Bildern beide fragten, ob er religi�s sei. Darauf hielt Waits dem Engl�nder einen Vortrag �ber seinen Glauben an die Wiedergeburt, w�hrend mein langes, bohrendes Gerede immer nur mit einem "Nein, in keinster Weise" abgespeist wurde. Da lachten dann die H�hner und fanden es ganz in Ordnung, dass er so war, wie er ist.

Franz Dobler ist Schriftsteller. Zuletzt erschien von ihm der Band "Sterne und Stra�en" (Edition Tiamat).

Notes:

N/A