Title: Ein Kaputtes Klavier & R�tselhafte Lieder
Source: Kurier (Austria), by Anna Gasteiger (excerpts). �Kurier Online bzw. KURIER - Wien, 2006
Date: published November 14, 2006
Key words: Orphans, perception of god

Magazine front cover:Kurier (Austra). November 14, 2006


 

Ein Kaputtes Klavier & R�Tselhafte Lieder

 

Tom Waits im Interview: �ber Rattenfallen, Grillen und die sch�nen Dinge im Leben. Und �ber sein aktuelles CD-Set "Orphans".

Tom Waits l�sst bei Konzerten gerne seine kratzige Stimme durch ein Megafon gleiten. Anreise zum Interview mit Tom Waits. Mit dem Auto durch die nordkalifornische H�gellandschaft n�rdlich von San Francisco. Vertrocknete Felder, einsame Farmen und totgefahrene Tiere am Stra�enrand. Irgendwo hier in der N�he wohnt angeblich Waits, mit seiner Frau und Co-Writerin Kathleen Brennan und den gemeinsamen Kindern, mit einer T�rensammlung, einem Studio im H�hnerstall und vielen alten Autos. Man liest manch Seltsames �ber diesen Mann.

Das Interview findet im "New Amsterdam" statt, einem abgewrackten Schuppen, man m�chte ihn nicht als Restaurant bezeichnen, mitten im Nirgendwo. Er geh�rt einem alten Holl�nder. Fr�her h�tten sich hier die mexikanischen Erntearbeiter getroffen, wird erz�hlt, dann gab's Probleme mit dem Gesetz und dann sie kamen nicht mehr. Jetzt kommt keiner mehr. Au�er Tom Waits und die Journalisten.

Das Interview findet im Hinterhof des "New Amsterdam" statt. Ein kleiner Tisch, zwei St�hle und daneben ein zerbrochenes, ein geschundenes Klavier. Waits kommt. Waits, der Schutzheilige der Raucher und Trinker, hat sich gut gehalten, sieht richtig frisch aus in seiner Jeanskluft. Vielleicht hat damals doch das Klavier getrunken.

Ausz�ge aus dem KURIER-Exklusiv-Interview mit Tom Waits:

KURIER: Wo kommt dieses Klavier her?
Tom Waits: Keine Ahnung.

Es passt so gut zu dieser Gespr�chssituation.
Es ist jahrelang im Regen stehen gelassen worden. Warum werden manche Klaviere jahrelang im Regen stehen gelassen, andere 100 Jahre im Keller einer Kirche - das ist wie bei B�umen. Manche wachsen neben einer Autobahn und es ist nie jemand auf ihnen geklettert, andere in einem Garten. Keine Ahnung. Klaviere haben Schicksale. Ungl�cklicherweise war es das Schicksal dieses Klaviers. . . (springt auf und l�uft zum Klavier hin). McFail, das Klavier hei�t McFail. Wenn du ein Klavier bist und McFail hei�t, ist das, wie wenn du arbeitslos bist und Dolittle hei�t. Das ist nicht gut.

Woher kam die Idee mit "Orphans" ein 3-CD-Set herauszubringen, das viele alte, vereinzelt ver�ffentlichte Nummern zusammenfasst?
Ich hatte Ratten im Haus. Also ging ich in die Eisenwarenhandlung, und sie hatten dort nur so moderne Fallen. Eine, die die Ratten mit einem digitalen Signal bet�ubt, eine andere, die sie mit einer dicken, gelben Paste vergiftet. Ich habe mir eine dieser altmodischen Fallen gekauft (klatscht in die H�nde). Es hat funktioniert. "Orphans" ist wie so eine Rattenfalle.

Inwiefern?
Es ist viel Blues darauf, viele fundamentale Dinge. Ich mag Spoken Word, ich mag Rhythm'n' Blues, ich mag Tin Pan Alley. Die Idee war, m�glichst viele verschiedene Einfl�sse zu vereinen.

Eine Art Zusammenfassung?
Das weniger, aber es unterstreicht gewisse Dinge. Von jetzt an k�nnte ich mir den Sch�del rasieren, auf der B�hne eine Badehaube tragen und durch eine Klopapierrolle singen. Es gibt mir die Chance, mich zu ver�ndern. Ich k�nnte High Heels und einen Zylinder tragen und Lieder von Judy Garland singen. Es w�re ein guter Zeitpunkt.

Wenn man Songs schreibt und sie ver�ffentlicht, ist das, als w�rde man sie gehen lassen?
Manche. Manche Songs singt man nie wieder, nachdem man sie aufgenommen hat. Andere singt man immer und immer wieder, um sie zu verstehen. Sie sind wie R�tsel, sie fordern einen.

"Manche Dinge werden nie alt"
Es gibt Songs, die man nicht versteht, auch wenn man sie selbst geschrieben hat?
Ja. Man ist wie ein Horn, durch das geblasen wird. Ich verstehe nicht alles, was ich schreibe.

Von wo kommen diese Songs?
Aus Kansas, aus der Tasche meiner Gro�mutter. Man wei� nie. Manches findet man auf dem Boden. Ich habe vor ein paar Jahren damit begonnen, viel auf den Boden zu schauen. Unglaublich, was man da findet. Und ich habe begonnen, �l-Flecken auf dem Asphalt zu fotografieren. Sie sehen aus wie Rorschachtests. Sie sind verwirrend, seltsam und bizarr. Oder: K�rzlich hat mir jemand eine Kassette mit Grillen-Ger�uschen gegeben. Nur Grillen-Ger�usche, aber verlangsamt. Und wissen Sie, was ich geh�rt habe? Es klang wie die Wiener S�ngerknaben. Wundersch�ne, engelsgleiche Musik. Wir glauben, wir h�ren Grillen, V�gel oder bellende Hunde, aber da ist immer noch etwas anderes, da ist immer mehr.

Hat sich Ihre Art, die Welt zu sehen, im Laufe der Zeit ver�ndert? Haben Sie sich ver�ndert?
Ich denke, nach einer Weile entwickelt man - hoffentlich und im Idealfall - die F�higkeit, aus seinen Fehlern zu lernen. Ich trinke seit 14 Jahren keinen Alkohol mehr. Ich trinke nicht, ich rauche nicht, ich nehme keine Drogen. Mein gr��ter Kick heutzutage ist Pulver-Kaffee (lacht). Und das ist f�r mich schon ganz sch�n viel. Manche Dinge. . . insgesamt ist mein Leben viel besser geworden. Ich bin entspannter geworden. Ich habe weniger Angst. Ich kann mit meinen St�rken und Schw�chen besser umgehen. Aber manche Dinge werden nie alt. Die sch�nen Dinge des Leben werden nie alt.

Wie zum Beispiel?
Einen Zug oder ein neugeborenes Baby h�ren. Eine hei�e Tasse Kaffee in einer kalten Nacht. Vom Dach springen und auf den F��en landen. Mitten in der Nacht auf einen Baum klettern. Es gibt viele tolle Dinge.

In dem Song "Road To Peace" geht's um den Nahost-Konflikt.
Ein Zeitungsbericht �ber einen jugendlichen Selbstmordattent�ter hat mich dazu inspiriert. Ich wollte eine einfache Geschichte �ber ihn und seine Familie erz�hlen.

Sie fragen in dem Song: Vielleicht hat sich Gott verirrt und braucht Hilfe. Glauben Sie an Gott?
(Pause) Ja. Sehen Sie das Unkraut da dr�ben. . . - ja, ich glaube an Gott.

An was f�r einen Gott?
Das ist Gott. Diese Pflanze, die durch den Zement w�chst, mit ihren kleinen gelben Bl�ten, dieses Unkraut, das niemand jemals anschauen wird und �ber das nie wer sprechen wird. Gott ist kein Mensch, sondern diese ungeheuere Energie, der wir alle entstammen. Aber in die Kirche gehe ich nicht.

Notes:

N/A