Title: Tom Waits: Artist In Der Baumkrone, Ratlos Source: Rolling Stone Magazine (Germany), by B�nz Friedli. May, 2002, Nr. 5. Thanks to Dorene LaLonde for donating magazine. Date: Flamingo Resort Hotel & Conference Center 2777 Fourth Street, Santa Rosa, CA. Late February, 2002. Published: May 22, 2002 Keywords: Blood Money/ Alice, politics, ambitions, Mule Variations, Kathleen Magazine front cover: Photography by Anton Corbijn, 2002 (1999?) |
Tom Waits: Artist In Der Baumkrone, Ratlos
Auf dem letzten Album hatte er das Visier etwas heruntergelassen, hatte erstmals einen Einblick in seine kunstvoll abgeriegelte Psyche gestattet. Auf seinen beiden neuen Alben nun spielt Waits wieder die Rolle, die er bis zur Selbstaufgabe verinnerlicht hat - die des kaputten Underdog-Poeten, der mit der vermeintlich zivilisierten Welt l�ngst abgerechnet hat. Will the real Tom Waits please stand up!
Schnauzb�rtige Farmer in gro�karierten Hemden stehen in der Lobby in Gr�ppchen zusammen, Baseballm�tzen auf den K�pfen, Mobil-telefone an den G�rteln. Im Flamingo Resort Hotel, einem Schreckbau aus den Seventies mit rosafarbener Fassade und braunen Tapeten, tagen die "Western United Dairymen". Bei Kuchen und Kaffee aus Pappbechern wird �ber Milchmengen und Futtermittel gefachsimpelt, �ber Euter und H�rner, M�uler und Klauen. Drau�en im Pool plantschen die Hotelg�ste, so hei� brennt die Sonne Ende Februar schon aufs nordkalifornische St�dtchen Santa Rosa. Und dann f�hrt noch so ein Typ vor. Kurvt im pechschwarzen Allrad-Chevrolet fahrig �ber den Parkplatz, schrammt um Zentimeter an den geparkten Wagen vorbei und bleibt im Halteverbot stehen. Aus dem CD-Player donnert viel zu laut Junior Wells'"Hoodoo Man Blues". Der Kerl steigt aus, Erde klebt an seinen klobigen Schuhen, sein samtener schwarzer Anzug ist staubig, das dunkelblaue Hemd nicht schick, sondern sch�big.
Doch dieser Bauer ist keiner. Nicht zum Viehz�chterkongress kommt: er, sondern zum Pressetermin. Raunt kehlig "Good afternoon, how are you?", schlurft durch die Menge, schubst den Journalisten in eine verdunkelte Suite, taumelt mit Wegwerfbewegungen durch den Raum. Da mimt er schon den unausgeschlafenen Tom Waits.
Ist es - die Frage muss man bei ihm gleich zu Beginn stellen - eine Inszenierung? Eine Dreiviertelstunde sp�ter wird der 52-J�hrige sie im Interview beantworten: "I'm a performer", wird er ganz beil�ufig sagen" "this is a performance right now." Willkommen zur ganz privaten Show: Tom Waits spielt Tom Waits.
Und das geht so:"'N SchluckTee?",fragt er tonlos, geht schlaksig zu einem Krug in der Ecke und schenkt ein. "I'm off of stuff" kr�chzt er dazu, als m�sste er sich rechtfertigen, dass er nicht mindestens einen Bourbon trinkt. ,,Kaffee und all der andere Mist macht mich nerv�s." Er w�rgt die Worte hervor, und das Timbre ist so rostig, wie wir's von seinen Platten her kennen.
Tom Waits. Fast furchtet man sich, ihn kennenzulernen. Man hat sich mit seinem Tom Waits so bequem eingerichtet. Man liebt Waits als den Poeten des Kaputten, man stellt sich ihn als S�ufer vor, als Herumtreiber, als Hurensohn. Wollen wir �berhaupt wissen, dass er Tee und Tofu statt Coffee and Cigarettes konsumiert, dass er zwar Whiskey predigt, aber Wasser s�uft, dass er im Supermarkt einkauft, im Gr�nen wohnt und mit seiner Familie sonntags Spritzfahrten unternimmt wie ein kommuner Durchschnitts-Ami?
Ja, wir wollen es wissen. Denn seine absonderlichen M�ren waren stets aus dem Alltag geboren. Seit je haben seine Songs die R�ckansichten des american dream enth�llt. Subtile Studien des Unscheinbaren, das ganz gew�hnliche Grauen: Die neuen LPs "Alice" und "Blood Money", die am 6. Mai zeitgleich erscheinen, basieren zwar auf Stoffen aus dem vorletzten Jahrhundert - auf "Alice im Wunderland" die eine, auf "Woyzeck" die andere -, beleuchten aber aktuelle amerikanische Wirklichkeit.
Beide Song-Zyklen entstanden urspr�nglich f�r Inszenierungen, die Waits mit Theater-Guru Robert Wilson machte: "Alice" lief 1992 am Hamburger Thalia-Theater, "Blood Money" entstammt dem "Woyzeck"-Musical, das im Herbst 2000 am Kopenhagener Betty Nansen Teatret aufgef�hrt wurde. Was auf der B�hne ein greller Comic war, ist auf CD ein finsteres Drama. Grundton: Die Welt geht zur H�lle.
Mister Waits, w�sste man nicht, dass die Lieder �lter sind, man w�rde "Blood Money" als Kommentar zum 11. September deuten.
"Manchmal ahmt die Kunst das Leben nach, und manchmal ist's eben umgekehrt. Ich glaube zwar nicht, dass das Album keinen Bezug zu der Welt h�tte in der wir leben, wenn der 11. September nicht geschehen w�re. Aber das war halt ein extremer Weckruf, der uns Amerikanern klar machte, was wir in der Welt angerichtet haben. Ja, wir haben uns das selber eingebrockt."
Und wie l�ffeln die USA es wieder aus?
"Es br�uchte jetzt wirklich gro�e M�nner, die mit Visionen mit F�hrungskraft und Tatendrang vorne stehen. Und mit Erbarmen."
George W. Bush gibt eher den Erbarmungslosen. W�hrend er die Bedrohung in einer fernen "Achse des B�sen" vermutet, orten Sie sie in der nahen Umgebung. Die neuen Lieder handeln vom Fremden in der unmittelbaren Nachbarschaft, forschen nach dem B�sen in uns selbst.
"Alles beginnt in der Familie, der vertrauten Umgebung, oder? Nachbarn, die �ber das Gartenlaub streiten. Einer wirft einen Stein, einer verflucht deine Eltern, einer bringt deinen Hund um, einer stiehlt etwas von deiner Veranda. Alles, was zuletzt in einem globalen Konflikt eskaliert, kann zur�ckverfolgt werden aufsehr banale Dinge, die niemand zu schlichten im Stande war."
Er spricht rhythmisch, mehr hustend als redend. mehr murrend als artikulierend, und man k�nnte sich im Zuh�ren verlieren, denn die S�tze gedeihen ihm zum Rap, fast schon zum Song. Die raue Stimme, man wei� es, ist eine glatte L�ge. Waits hat sie sich zugelegt weil ihm das Knurren seines Onkels Vernons so gefiel, dem ein Arzt den Kehlkopf verpfuscht hatte.
Mit rotgr�ulichem, krausem Haar hockt er da, ergrauten Koteletten, winzigem Kinnb�rtchen. Aus dem ledernen Teint lugen kleine hellblaue �uglein hervor, mehr skeptisch als listig, vor sich auf dem Tisch verschr�nkt er die Finger seiner Pranken, an denen silberne und goldene Ringe prangen. Ein Schauspieler in eigener Sache? Wohl doch nicht ganz. Dazu ist Waits zu wenig souver�n. Aus Hemmung zieht er seinen Kopf zwischen die Schultern, aus Verlegenheit verbirgt er sein l�ngliches Bubengesicht, aus Sch�chternheit gibt er den Zerknitterten, aus schierer Unsicherheit deutet er seine Affengrimassen an. Neugierig, aber auch �ngstlich sitzt er dem Fragesteffer aus Europa gegen�ber.
Das Unheil beginnt in vertrauter Umgebung. Weshalb aber lokalisieren die USA das B�se im Fernen Osten?
"Weil es halt einfach ist, alle Muslime zu verteufeln. Oder all diese Typen mit den Nasenringen! Die Typen mit der Irokesen-Frisur! Alle mit blauen Augen! Wir sind immer rasch bereit, eine bestimmte Gruppe zu d�monisieren."
Darum geht es Ihnen in "Blood Money"?
"Ach, das sind nur Lieder. Ich glaube nicht, dass si irgend etwas ver�ndern werden."
Typisch, wie er die Bedeutung seiner Kunst pl�tzlich absch�tzig vom Tisch wischt. Eigentlich ist es ihn peinlich, Tom Waits zu sein. Er schl�rft aus seine Henkeltasse, fahrt sich mit den Handballen �ber Stirn, massiert sie, legt sie in Falten. Sagt auf die Frage, was die beiden neuen Alben unterscheide zunachst: "All right, okay, all right, gee, I don't know." Dabei wei� er's genau: "Alice" ist feminin, �therisch und abgehoben. Wie wenn du einen Trip oder Pilze einwirfst. "Blood Money" ist fleischlicher, erdverbundener, blutiger", sagt er. Nicht allein auf seine Worte muss man h�ren, sondern auch auf deren Klang: ein Raunen, Raffeln, Raspeln, Rasseln und R�cheln. Waits verw�scht und zerdehnt den Sound seine S�tze, murmelt "Oummm, not really, well, maybe, aargh, good question" Und �berrascht dann unversehens mit einer griffigen Sentenz: "Das eine Album ist mehr Traum, das andere ein Alptraum."
Die neuen CDs geh�ren mit den Klassikern "Swordfishtrombones" und "Rain Dogs" und dem letzten Album "Mule Variations" zum Besten, was Waits gemacht hat. 1992 war sein Spiel auf "Bone Machine" nur mehr kn�cherne Perkussion, nur ein H�mmern und H�ckseln, Zerlegen und Zertr�mmern. Auf "Mule Variations" kehrten 1999 Melodie und Seele zur�ck, jetzt f�gen sich Rhythmus und Sentiment auf "Alice" zu einer Kammer-, Keller-, Karussell- und Kehrichteimermusik von himmeltrauriger Sch�nheit. Und auf "Blood Money" walzern rammlige Banjos, matte Holzbl�ser, m�de Zirkustrompeten und Charlie Musselwhites vers�hnliche Mundharmonika einen beunruhigten Hinterzimmerjazz, der ganz ohne Rockgitarren und Schlagzeugget�se auskommt.
Waits pflegt das Bild eines kulturellen Gebrauchtwarenh�ndlers. "Ich bediene mich der musikalischen Moden", sagt er."lm Studio schaue ich zuerst einmal ob's dort einen Papierkorb gibt, den man umdrehen und darauftrommeln kann. Und diesmal hatten wir viele uralte Mikrofone, wie ich sie zuvor nur in Dokumentarfilmen �ber Hitler gesehen hatte." Er grummelt und brummelt scheinbar ins Blaue, setzt seine Pointen aber mit Bedacht. "Mit einem Song ist es wie in der Liebe: Am Anfang ist alles frisch und aufregend, und wenn man sich aneinander gew�hnt hat, wird man gen�gsam. Ich darf einen Song nicht zu Tode �ben, ich muss ihn aufnehmen, solange er mich noch �berrascht."
Der Zufall hat freilich Prinzip. Waits' windschiefer Dilettanten-Charme, seine haarscharf an den Genres vorbei schleifende Heilsarmee-Seligkeit ist pr�zis or chestriert. Die rumpelnde Melange aus Chanson, Blaskapelle und Rock' n' Roll ist durchkomponiert. Verz�gertes Timing, nicht synchron gespielte, nostalgisch verwehte lnstrumentierung, ein klein wenig falsch gestimmte Bratschen, verschachtelte Holper-Takte, all das ist hoch komplex.
Vom Brecht/Weillschen Theatersong borgt er sich die Methode, mit Rollenspiel der Wahrheit nahe zu kommen. Vom Blues lernte er die Andeutung und das Verschweigen. F�r jenen oft kopierten Schepper- und Schmuddelsound bedient Waits sich exzellenter Musiker und ausgefallener lnstrumente. Um alles in der Welt m�chte er den Eindruck vermeiden, sein Rumpelkammer-Rock sei gezielt in Szene gesetzt. "So vieles,was eine Platte ausmacht,entsteht durch Zufall. Wer hat welchen job nicht bekommen und kann nun daf�r hier dabei sein? Mit welchem Bein bist du aufgestanden? Dann die K�he auf dem Weg ins Studio, die deinen Weg blockieren, du musst bremsen, um den Unfall zu verhindern, der dich aus diesem Projekt eliminieren w�rde." Ihm zuzuh�ren ist, als w�rde man ihn beim Songschreiben beobachten. Mit zwei, drei Wendungen gibt er dem Allt�glichen einen Dreh ins Absurde. Und das ist so unterhaltsam, dass man gar nicht wissen will, ob's stimmt.
Oft bleiben erfolgreiche Stars k�nstlerisch stehen. R�hrt Ihre Freiheit, stets weiter zu experimentieren, daher, dass Sie kommerziell nie allzu gro� geworden sind?
"Diese Superstars sind wohl einfach die besseren Gesch�ftsleute, die werden sich sagen: Solang es l�uft, musst du gar nichts �ndern. Aber denken Sie an die Beatles, die waren riesig, und doch haben sie sich von Platte zu Platte stark gewandelt."
Aber das war in den Sixties. Heutige Stars trauen sich nicht mehr.
"Ich jedenfalls mache, was ich will. Und ich empfinde es als Privileg, all die Dinge erforschen zu k�nnen, die andere f�r wertlos halten. Was andere fortwerfen, das interessiert mich."
Das vermeintlich Abartige zieht ihn an. Der neue Titel "Table Top Joe" etwa ist das Portr�t eines gewissen Johnny Egg. "Der Mann ohne Unterleib, y`know. Er ging auf seinen H�nden und hatte einen gesunden Zwillingsbruder; zusammen machten sie die Nummer mit dem zers�gten Mann. Er war aber auch ein exzellenter Pianist mit eigener Band." Die Geschichten des Tom Waits, mehr halluziniert als fabuliert, drehten sich stets um irrlichternde Kriegsveteranen, religi�se Schl�chter, gestrandete Seer�uber, kurzum: Innenansichten von Au�enseitern. Da droht nat�rlich Klischeehaftigkeit, doch Waits, der sentimentale Zyniker, vermeidet die Plumpheit zumeist, indem er seine Protagonisten zwischen Gut und B�se oszillieren l�sst, das Sch�ne schrecklich macht, das Schreckliche sch�n.
Mit seiner maulfaulen, metaphernreichen Mystik, den gewaltigen Bildern um brennende Scheunen und streunende Totschl�ger, ist Waits den Bluesv�tern nahe, Robert Johnson, Lightnin' Hopkins. Und: Georg B�chner. Dessen Woyzeck passt als Figur so gut in das Waitssche Universum, als h�tte B�chner ihn f�r Waits geschaffen.
"Bob Wilson erz�hlte mir die Story in einer Kaffeebar in Boston", erinnert sich Waits, "und es klang, als enthielte der Stoff alle Elemente einer gro�en Trag�die: Liebe, Verrat, Eifersucht, Mord, Rache, Ausbeutung. Ich sagte: ,Okay, das machen wir."'
B�chner liefert seinen Protagonisten dem Klassenkampf aus, l�sst ihn vom Opfer zum T�ter werden, ohne Mitleid. Wie B�chner zeigt auch Waits seine Figuren unbarmherzig und weckt beim Zuh�rer gerade dadurch Anteilnahme. "You just tell the story", sagt er. "Du musst das Publikum nicht in eine bestimmte Richtung lenken, die Geschichte ist stark genug." Waits steht auf holt sich noch eine Tasse Tee."Entschuldigen Sie mich."
Je �fter man sich die neuen Alben anh�rt, desto mehr kehrt sich der Traum von "Alice" in einen Albtraum, offenbart das albtraumartige "Blood Money" traumhafte Sch�nheit. Die Psychedelik von Alice im Wunderland und Woyzecks Psychose vertauschen sich. "Licht und D�sternis, in beiden Platten ist die Kehrseite der anderen enthalten", sagt Waits. Noch ist seine Stimme ein wenig belegt, aber allm�hlich spricht er schneller, heller und vergisst zunehmend, den Tom Waits zu geben.
Waits-Konzerte sind rar, zuletzt gab's im Sommer 2000 eine Reihe exquisiter Shows. Warum so selten?
"Ich trete gern auf, lasse mich gern �berraschen von meiner Musik. Aber zwischen 20 und 30 hab ich nichts anderes gemacht als Touren, jetzt hab ich das Rumh�ngen, die Hotels und all das ein bisschen satt. Es leiert einen aus."
Und die Umklammerung der Fans, die ihren Kultstar bejubeln, ohne ihm zuzuh�ren, ist er ihrer �berdr�ssig? "Umklammerung? ��h, ich wei� nicht, mmmmh." Er erz�hlt von einem Saal in Warschau, wo die Leute noch schrien und stampften, als er schon im Hotelbett gelegen habe, und nimmt seine Fans in Schutz: "Wenn meine Songs in ihnen etwas ausl�sen, es "ihre" Songs werden, ist es f�r sie,als h�tten sie einen Brief von mir bekommen. Und dann glauben sie halt, mich zu kennen", sagt er. "Aber mein Privatleben bleibt davon unber�hrt. Ich muss nicht jedesmal eine Per�cke aufsetzen und einen Schnurrbart ankleben, wenn ich aus dem Haus gehe."
Tom Waits? Steht f�r Intensit�t, f�r das wahre, gro�e Gef�hl. Dabei ist es nur gutes Theater. Doch wir lieben die Mysterien, die ihn umwittern. W�hrend des gr��ten Teils der 90er Jahre war Waits von der Bildfl�che verschwunden. Unauffindbar. Ein Gespenst. Lebte er �berhaupt noch? Die Wahrheit war banal: Er hatte einen M�sli-Hersteller verklagt, der ihn in einem Werbespot plagiierte, gewann 1,2 Miljonen Dollar Genugtuung und machte es sich mit der Summe einige Jahre lang gem�tlich.
Waits, der Lehrerssohn aus Pomona nahe L A., hat die Legendenbildung in eigener Sache stets mit Wonne betrieben. Behauptete, auf dem R�cksitz eines Taxis zur Welt gekommen zu sein. Schwadronierte von einem zw�lfj�hrigen analphabetischen Alkoholiker, der ihm beigebracht habe, in Moll zu spielen. Stilisierte seinen Flop im Vorprogramm von Zappa zum Mythos. Logierte mit seiner damaligen Gef�hrtin Rickie Lee Jones im Tropicana Motel. Kokettierte mit dem Misserfolg: "Ich hatte mal Ambitionen, aber ich lie� sie mir von einem Arzt in Buffalo entfernen."
Als junger Mann las Waits die Beat-Fibel "On the Road" und wollte selber so werden: ein Hobo, ein fahrender Musikant. Bald war er gefangen in dem Bild, und vieles, was er in den 70er Jahren machte, mutet heute als eitle Pose an. Als h�tte er eins werden wollen mit seinen Figuren, den Trinkern und Taugenichtsen.
Da durfte es ihn nicht wundern, dass man ihn fur entsprechende Rollen holte. In drei Dutzend Filmen hat er gespielt, und meist wollten sie ihn, von Altman bis Coppola, von Jarmusch bis Wenders, als besoffenen Klavierspieler, desperaten Vietnam-Heimkehrer, als Dealer, Hehler, Zuh�lter, als Gangster und Ganoven, als Vampir gar.
Sind Sie dieser Loser-Rollen nicht �berdr�ssig, f�r die man Sie immer engagiert?
"Ich bin ja kein Schauspieler. Musik liegt mir viel n�her. Deshalb geht es in Ordnung, dass sie mich als Charakterdarsteller behandeln. Was ich am besten kann, ist, kleine Filme f�r die Ohren zu machen."
Der Monolog "What's He Building" auf Ihrem 1999-er Album war alles: ein St�ck ohne B�hne, ein Song ohne Melodie, ein Film ohne Bilder. Machen Sie zwischen Theater, Musik und Kino nie einen Unterschied?
"Nein. Nur, dass ich dem Medium Musik eben mehr vertraue."
Spielen Sie auch in Ihren Songs Rollen?
"Manchmal bin's schon ich. Aber nur weil man "Ich" sagt, ist man es noch lange nicht selbst."
Aber auf der letzten Platte "Mule Variations" haben Sie Ihr Herz ge�ffnet. Weshalb?
"Da ging's um mich, das war weniger theatralisch als die neuen Platten. Das war viel pers�nlicher."
Und pl�tzlich ist seine Stimme sanft, der Ton weich und die angestrengte Knorrigkeit verflogen, mit der er einen begr��t hat. Tom Waits spielt nicht mehr den Tom Waits.
"Tom Waits" ist ein Markenzeichen. Wie gross ist die Gefahr, sich selbst zu kopieren?
"Sehr gro�. Du machst etwas, von dem du genau wei�t, wie du es tun musst. Du brauchst dich nicht anzustrengen.
Was kann man dagegen tun?
"Heiraten! Denn dann sagt deine Frau: "So ein Schrott, das ist der gr��te Mist, den ich je geh�rt habe, so schlaff. Come on, streng dich an!" Ich brachche jemanden, der mir das sagt"
Aber Ihre Frau Kathleen Brennan ist doch als Co-Songschreiberin schon seit 21 Jahren Teil des kreativen Prozesses?
"Schon, aber wir schleifen einander gegenseitig wie Messer. Wir streiten. Und wir versuchen, einander besser zu machen, indem wir nicht zulassen, dass der andere etwas Mittelm��iges tut"
Ihre Frau tr�gt viel zur �ffentlichen Figur Tom Waits bei. Warum jedoch stehen immer nur Sie im Vordergrund?
"Sie meinen, ob sie jetzt zu Hause sitzt und sich ausweint, weil sie nicht mit zum Interview durfte? Oh, nein. Sie hasst das Rampenlicht Ich vertraue ihr unermesslich, sie ist eine gro�artige Songwriterin. But I'm the front man. Sie versteckt sich im Geb�sch,"
Das "Geb�sch", in dem Waits, Brennan und die Kinder Kellesimone, Casey Xavier und Sullivan leben, ist ein Anwesen au�erhalb Santa Rosas mit Blick aufs Meer. Und einer Scheune, die als Tonstudio dient. Wellig und saftig gr�n ist das H�gelland zwei Autostunden n�rdlich von San Francisco. Santa Rosa, das St�dtchen, ist putzig und proper, seine schnuckeligen Holzh�user wurden nach einem Erdbeben 1969 wieder aufgebaut. Das Historische als Schein, das Idyll als Trugbild: ein geeigneter Schauplatz f�r Waits' makabere Tr�umereien und z�rtliche Moritaten.
Im Plattenladen am Ort, "The Last Record Store", kennt man ihn. "Waits kommt oft vorbei, am Morgen, wenn wenig Kunden da sind", sagt Hoyt, der Besitzer. Zuletzt hat Waits die britischen Electro-Hip-Hopper Gorillaz gekauft. "F�r seine Kids."
Bei jedem anderen w�rde man "Kitsch!" schreien, w�rde er "lch f�lle den Ozean mit meinen Tr�nen" singen, wie Waits es im akkordeonseligen Gegreine von, "Lost In The Harbour" tut. Aber so gebrochen, wie Waits es singt, wirkt es wahrhaftig. Ob Bruce Springsteens "Jersey Girl" Manfred Maurenbrechers "In der Nachbarschaft", Rod Stewarts "Downtown Train" - keine Coverversion hat das Original je erreicht, keine der �ppig ausstaffierten Nachahmungen auf den Tribute-Alben "Step Right Up" und "New Coat Of Paint" kam an die Abgrundigkeit von Waits' Song-Skeletten heran. "Du gibst sie weg und hast keinen Einfluss mehr, ob sie deine Kompositionen schlachten oder einigerma�en anst�ndig interpretieren", sagt er. Die Kanadierin Holly Cole und die Schweizerin Claudia Bettinaglio f�llten ganze Alben mit braven Jazz-Adaptionen, auch Wolfgang Ambros konnte es nicht lassen: "Ambros singt Waits".
Aber keiner singt Waits wie Waits. Zwar wohnt seinen Liedern immer auch die Sehnsucht inne, "sch�n" gesungen zu werden, doch in der Erl�sung verlieren sie zumeist ihr Flair. Nur wenn sie scheitern, bleiben sie lebensecht. Das wei� Waits selber am besten. "Der S�nger und der Song sind untrennbar, meine Songs sind Waisen, wenn ich sie weggebe." Aber er ist hin-und hergerissen: "Wenn au�er dir niemand Interesse hat, deine Songs zu singen, dann fragst du dich schon ob sie nichts wert seien." Deshalb hat Waits letztes Jahr John Hammonds Tribute-CD "Wicked Grin" gleich selber produziert. Doch auf den Einwand, Hammond habe die Phrasierung kaum hingekriegt, entf�hrt Waits ein triumphierendes "Yeah, right". Es ist der Triumph des untersch�tzten S�ngers. "Ich synkopiere halt gern, gebrauche meine Stimme wie ein Schlagzeug, ich kontrapunktiere", sagt er und deutet an, welch gro�e K�nnerschaft in dem liegt, das sich oft wie Lallen anh�rt. Pl�tzlich blitzt aus der steten Bescheidenheit so etwas wie Selbstzufriedenheit auf.
Doch dann folgt gleich wieder Understatement. Wissen Sie, ich mache einfach L�rm, Ger�usche um der Ger�usche willen",sagt er."Und jedes Ger�usch ist Musik. Dsch�gg�bun!" Aus dem Nichts zaubert er Bedrohlichkeit. "Dsch�gg�bun, dsch�gg�bun!"
Nun ist er nicht mehr zu halten. Schw�rmt vom Rhythmusgef�hl kleiner Kinder. "B�d�r�-d�r�-p�t��. "Gibt zum Besten, dass die Familie immer h�re, wenn er nach Hause komme. "Weil ich so laut klappere mit meinen Schuhen, potara tta ta." Und macht vor, wie Strawinsky sich einst am rhythmischen Schaufeln chinesischer Arbeiter inspirierte: Jschagga-tschagga, a tschagga-tschagga."
Der Lautmaler im Element. "Rhythmus ist �berall. Immer. Man muss ihn nur pfl�cken. Wie dumm, dass wir in der Musik auf die immer gleichen Rhythmen fixiert sind!", sagt er. Minutenlang und gestenreich verliert Waits sich in Ger�uschimitationen, "dsch�gg� bun, dsch�gg�bun", und liefert dann - zack - die Synthese: "Ich mag meine Musik mit Beulen, mit Rinde, Stumpf und Stiel."
Weil sie eine kranke Welt abbildet?
"Songs wie ,Misery Is The River Of The World' beziehen sich schon auf den Stand der Welt. Und doch hoffe ich, die Welt werde besser."
Auf "Blood Money" singt Waits: "Ich glaube nicht, dass man in den Himmel kommt, wenn man gut ist. Es geht ohnehin alles zur H�lle." B�chner lie� seinen Woyzeck sagen: "Wir arme Leut. Ich glaub' wenn wir in Himmel k�men, so m�ssten wir donnern helfen."
Tom Waits verabschiedet sich sehr f�rmlich, und auf dem Heimweg stellt man sich vor, dass er doch in den Himmel kommt. Keiner k�nnte wohl besser donnern helfen.
Der menschliche Makel
Auf "Blood Money" und "Alice" herrscht Waits �ber seine Welt
Man wird diesen beiden Alben drei Dinge vorwerfen: Kunsthandwerk. Klischee. Und Wiederholung. Das sind die drei Dinge, die wir als Einw�nde gegen Tom Waits seit 15 Jahren kennen seit er ausgerechnet mit "Down By Law" einigerma�en bekannt wurde. Da hatte er seine Kehre schon vollf�hrt: 1983 verwandelte er sich vom trunkenen Troubadour zum hemmungslos �bertreibenden Cabaret- und Blues-Schauspieler, und das war dem Cover von "Swordfishtrombones" auch anzusehen. Die gro�artige Platte h�rte kaum einer, aber Coppola, Jarmusch und Wilson setzten Waits doch durch.
An die Polyphonie und die Weimarer Assoziationen von "Swordfishtrombones" erinnern die Arbeiten "Alice" und "Blood Money", die nach den eher bodenst�ndigen, unmittelbaren "Mule Variations" verspielt, melodieselig und unerbittlich wirken. Nat�rlich hat Waits hier weder "Alice im Wunderland" noch "Woyzeck" stringent nachkomponiert so wenig wie sein "Black Rider" der "Black Rider" war (und schon gar nicht "Der Freisch�tz") Vielmehr variiert er virtuos Motive - musikalisch oder thernatisch - seines Universums, das er von ganz unten her denkt, aus dem Schmutz und dem Elend und der gequ�lten Kreatur.
Die wird von Woyzeck wie von sonst niemandem verk�rpert. Und auch die j�he, brutale Liebe - Waits' einzige Ausflucht - widerf�hrt B�chners Schmerzensmann mit alten Wonnen und Qualen. In "Blood Money" ist Tom Waits also ganz zu Hause: Songs wie "Misery ls The River Of The World", "Everything Goes To Hell" und "God's Away On Business", rumpelnd, stampfend und keuchend vorgetragen, sind fast schon Parodien auf seinen Manierismus. Aber sie sind eben auch verteufelt gut instrumentiert. Von den gro�en Waits-Musikern ist allein Larry Taylor am Bass dabei, der aber ist stets die halbe Miete. Stewart Copeland spielt einmal Schlagzeug. Doch eine Ballade wie "Coney Island Baby" braucht ohnehin nur Waits.
"Alice" ist, wie auch anders, etwas versponnener zarter und luftiger. Allerdings brechen hier das auf deutsch gespuckte "Kommenie Zu Spadt" ("Sei punktlik!") - offenbar eine Satire - und das stuck "Reeperbahn" herein: "Now little Hans was always strange/ Wearing women's underthings."
Hier beherrscht jemand alle Tricks.
Arne Willander
Notes:
N/A