Title: Intellektueller Storyteller
Source: Subway Magazine (Germany) June, 1999 by Markus Kruppa. Photography by Anton Corbijn. Transcription as published on Subway Website. � Copyright by SUBWAY Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH (Impressum).
Date: published June 1999
Key words: Mule Variations, Big In Japan, Kathleen, Studio recording, Chocolate Jesus, Filipino Box Spring Hog

Magazine front cover: Subway Magazine (Germany) June, 1999

Accompanying picture
Epitaph/ Mule Variations promo poster. Date: 1999. Credits: photography by Anton Corbijn


 

Intellektueller Storyteller

 

Schr�ge Sounds und surreale Shortstories: Tom Waits erkl�rt seine "Mule Variations"

Penner, Huren, Spieler, verr�ucherte Pinten und kr�hende H�hne. Der Mief von Mist und Heu. Das ist die Atmosph�re, das Milieu, das den rastlosen Tom Waits geradezu kreativ befl�gelt und seit nahezu 25 Jahren f�r Furore im Musikbusiness sorgt. Schon 1983 vermischte Waits mit seinem Album "Swordfishtrombones" alle g�ngigen Musikstile, experimentierte mit einer stark verfremdeten Stimme. Dieser "Tin-Pan-Alley-Style" �ffnete ihm ein breites Spektrum kreativer M�glichkeiten: Innovative Aufnahmetechniken, experimentelle Soundverschmelzungen betten sich in archetypisch-akustisch aufbereitete Klanglandschaften. Waits, der schon f�r Francis Ford Coppola ("Bram Stoker's Dracula") oder f�r Jim Jarmusch ("Down by Law") vor der Kamera stand, feierte dar�berhinaus auch gro�e Erfolge als Mime in der Produktion "Frank's Wild Years" in Chicago, vertonte William S. Burroughs "The Black Rider". SUBWAY sprach mit dem multimedialen Allroundgenie �ber seinen neuesten musikalischen Streich, das archaisch klingende "Mule Variations" (das k�rzlich bis auf Platz 4 der deutschen Albumcharts stieg!). Gleichsam eine Mischung aus Natur und Verfall, jedoch weit entfernt von jeglicher Wald- und Wiesen-Idylle. Denn Songs, meint der exzentrische Mann mit der Reibeisenstimme, sind "wie kleine surreale Schatzkisten voller Gef�hle".

Bist Du Dir sicher, da� Deine Musik auch im Land der aufgehenden Sonne popul�r ist?

"Ich beobachte mich selbst im Hafen, wie ich gerade ein Hochspannungsseil zerrei�e, mir Autos schnappe und wie Godzilla ganz Tokyo einebne. Es gibt halt Leute, die sind nur wahnsinnig popul�r im Land der aufgehenden Sonne. So als ob Du zum Mars fliegst. Das ist dort alles so eine Art riesige M�lldeponie f�r Unterhaltung."

Der Anfang von "Big in Japan" ist ein eher ungew�hnlicher Album-Auftakt?

"Ich war in einem Hotel in Mexiko und hatte nur ein kleines portables Bandger�t dabei. Ich schaltete es ein, begann zu schreien, schlug es auf eine Kommode, bis mir der Sound gefiel, und irgendwann h�rte es sich dann wie bei einer echten Band an."

Du hast nicht alle "Mule Variations"-Songs selbst geschrieben?

Von sechzehn Songs auf der Platte, schrieb ich elf mit meiner Frau Kathleen. Seit "Swordfish" arbeiten wir zusammen. Ich suche die Rezepte aus, sie ist der Koch. Sie sagt immer: "Bring die Zutaten nach Hause, ich f�ge alles so zusammen, da� es schmeckt." Wir sch�rfen einander wie Messer. Sie hat eine furchtlose Vorstellungskraft, schreibt unsere Lyrics wie Tr�ume - gibt dem ganzen erst Herz und Charakter."

Was hat Dich nach sechs Jahren wieder zur�ck ins Studio getrieben?

"Ich konnte die alten Texte einfach nicht mehr h�ren. Etwas Neues entsteht, weil etwas Altes geht. Meistens beginnt alles mit irgendetwas Lustigem. Zusammen mit hunderten von anderen Ideen befl�gelt das meine Sinne. Ich lasse mich einfach von diesem kreativen Gedankenflu� inspirieren und �berschwemmen. Wenn wir anfangen, Songs zu schreiben, bauen wir einen Damm und versuchen so, Brauchbares herauszufischen. Das ist diese gute alte Schmetterlingsnetz-Theorie."

Wie sieht's denn in Deinem Studio aus?

"Ich nenne es "Prairie Sun" und es liegt auf einer H�hner-Ranch drau�en in der Kalifornischen Provinz. Was sch�n daran sein soll? Du kannst w�hrend deiner Takes drau�en vor der T�r pinkeln. Ein wichtiger Grund f�r mich, dort zu arbeiten."

Ist der Gockel bei "Chocolate Jesus" ein �berbleibsel aus der Zeit, als das Studio noch ein H�hnerstall war?

"Das ist immer noch ein Stall. Wenn wir durch die T�r traten, und das haben wir in diesem Song getan, befanden wir uns direkt auf der Einfahrt. Wir haben dann spezielle Richtmikrophone, die aussehen wie ein Gewehr, f�r die Au�enaufnahmen benutzt. Mein Toningenieur hat diese Biester auf dem Flohmarkt erstanden und es ist geradezu erstaunlich, wie Du damit Ger�usche wie das Kr�hen irgendwelcher H�hner, das Bellen von Hunden oder die Motorenger�usche von Lastwagen und Flugzeugen klanglich in deine Songs integrieren kannst."

Wer ist eigentlich "Chocolate Jesus"?

"(lacht). Mein Schwiegervater wollte mich zu seinem Gesch�ftspartner machen. Ich sollte den Leuten so kleine Umh�nger, wie Kreuze, verkaufen, damit Du immer geb�hrend deinem Glauben fr�nen kannst, auch wenn Du einmal keine Zeit hast, weil Du gerade im Auto sitzt. Diese kleinen Dinger sollen dich in h�here Sph�ren katapultieren, dich deiner Gottheit n�her bringen. Der Schokoladen-Jesus schmilzt in deinem Mund, nicht in deiner Hand. Man, das ist vielleicht direkt. Trink es, schlucke es herunter als eine Art Erinnerung an ihn. Das ist nicht blasphemisch, sondern eine Art Volksspiritualit�t."

Kommunionsoblaten schmecken nicht ann�hernd so gut wie Schokolade?

"Stimmt. Geschmacklich sollte man dieses Zeug gr�ndlich �berarbeiten. Passend zur Jahreszeit die entsprechende Zutat: Gew�rznelken- und Apfelgeschmack im Herbst, das w�ren leckere Oblaten. Dazu noch Zimt, Ingwer. Du w�rdest f�r einen wahren Zustrom von neuen Kirchenmitgliedern sorgen. Und diejenigen, die aus der Kirche ausgetreten sind, k�men postwendend zur�ck."

Erz�hle etwas �ber den skurrilen Song "Filipino Box Spring Hog"?

"Das f�llt auch wieder in die Kategorie "surrural". Als wir in der Union Avenue in Los Angeles lebten, hatten wir jede Menge Parties. Wir s�gten die Fu�bodendielen aus dem Wohnzimmerboden, Bett, Regale und Holzplanken wanderten in das Loch, sch�tteten Benzin dr�ber und z�ndeten ein Feuer an. Der Lattenrost des Bettes war unser Grill, wir besorgten ein ganzes Schwein und grillten es."

Brennt dir jetzt noch etwas auf der Seele?

"Na klar. Ein Blauwal wiegt soviel wie drei�ig Elefanten, ist so lang wie drei Greyhound Busse. Wu�test Du, da� eine Giraffe l�nger ohne Wasser auskommt als ein Kamel? Die Zunge einer Giraffe ist zw�lf Zentimeter lang, sie kann die Nasenl�cher bei Bedarf schlie�en oder �ffnen, sie galoppiert schneller als ein Rennpferd; und ist dabei auch noch fast ger�uschlos..."

Interview: Markus Kruppa
Foto: Anton Corbijn

Notes:

N/A